Du kennst sie – diese eine Freundin, die immer zu spät zur Verabredung kommt. Auf die Verlass ist – in der Hinsicht, dass du die ersten 30 Minuten eures Treffens entweder draußen vor dem Café verbringst oder du den ersten Kaffee bereits alleine getrunken hast, bis sie auftaucht.
Diese Freundin ist eine Diebin.
Denn: Sie stiehlt dir Zeit.
Zeit, die du für sie reserviert hast. Die du, wenn du auf sie wartest, vielleicht nicht genießen kannst.
Für mich persönlich war es ganz lange nicht möglich, einfach schon mal alleine in ein Café oder Restaurant zu gehen, weil ich mich schon allein beim Gedanken daran unwohl gefühlt habe. Heute ist das anders und ich warte nicht mehr vor der Tür, sondern versuche, die Zeit, die ich mit Warten verbringe, wieder zu MEINER Zeit zu machen. Aber das war ein Prozess.
Und vielleicht geht es dir ähnlich.
Übrigens: Wenn du so eine Freundin nicht kennst, dann bist du vielleicht diese Freundin.
Just sayin‘.
Diese Menschen, die Zeit stehlen, handeln mindestens in einem Aspekt aus dem Yoga nicht sonderlich yogisch. Ich spreche von Asteya – nicht stehlen. Wenn wir das Prinzip von Asteya berücksichtigen, dann wollen wir nicht stehlen.

Asteya im achtgliedrigen Yoga-Pfad
In dieser aktuellen Artikelreihe widme ich mich dem achtgliedrigen Pfad des Yoga – einem meiner liebsten Themen. Denn der achtgliedrige Pfad ist eine Möglichkeit, auf yogisches Handeln im Kontext der dahinterliegenden Philosophie zu blicken. Er stammt aus den Yoga Sutras von Patanjali und bildet ab, welche Bestandteile alle zu einer holistischen Yoga-Praxis dazugehören. Einer Praxis, die über die Matte hinausgeht.
Die Bestandteile des Pfads greifen alle ineinander und sind nicht unbedingt in einer bestimmten Reihenfolge „abzuarbeiten“. Aber sie sind in einer bestimmten Reihenfolge niedergeschrieben, die ich nutze, um mich an dieser Sortierung zu orientieren, was meine Beiträge angeht.
An erster Stelle stehen demnach die sogenannten Yamas im achtgliedrigen Pfad. Sie beschreiben, wie wir achtsam mit unserer Umwelt und anderen Lebewesen umgehen können. Und dazu gehört auch Asteya.
Asteya ist das dritte der fünf Yamas.
Lies hier mehr über das erste Yama: Ahimsa. Und hier mehr zum zweiten Yama: Satya.
Was bedeutet Asteya?
Asteya bedeutet nicht stehlen.
Nun denke ich, ist dir klar, dass du nicht im Supermarkt mal eben so etwas mitgehen lässt. Natürlich gehört das auch dazu, aber Asteya meint noch mehr.
Denn außer Zeit kann man viele weitere Dinge stehlen:
Ideen. Hat jemand Teamarbeit gesagt? Wie oft hast du es schon erlebt, dass jemand deine Idee für seine eigene ausgegeben hat? Oder die credits für ein Projekt bekommen hat, obwohl die zündende Idee deine war? Oder du erzählst jemandem von deiner Idee, einen Roman über Thema YX zu schreiben, und die andere Person legt dir einen Monat später 100 Seiten zum Lektorieren über eben jenes Thema vor? Tut weh, oder? Don’t be that person.
Energie. Schon mal von Energievampiren gehört? Von diesen Personen, die dir deine gesamte Energie aussagen in einem Gespräch? Und wenn es vorbei bist, fühlst du dich erschöpft, leer, ausgelaugt? Eine Entscheidung in Einklang mit Asteya könnte sein, diese Menschen seltener zu sehen – oder gar nicht mehr. Und erst recht: Diese Person nicht zu sein.
Träume und Visionen. „Das schaffst du eh nicht!“ Boom! Traum geplatzt. Vielleicht hat eine solche Aussage dich schon mal von etwas abgehalten, wovon du geträumt hast. Vielleicht erinnerst du dich daran, wie blöd sich das anfühlt. Also: Achte darauf, was du anderen Menschen an den Kopf wirfst, bevor du ihre Träume stiehlst.
Warum stehlen Menschen?
Aus Neid.
Aus Mangel.
Aus dem Gefühl heraus, nicht genug zu sein.
Asteya hat ganz viel mit Akzeptanz zu tun. Zu akzeptieren, dass ich bereits genug bin. Gut genug.
Dass ich niemanden etwas stehlen muss, um vollständig zu sein.
Dass ich nicht neidisch sein muss auf etwas, das eine andere Person hat. Und dass ich es ihr nicht wegnehmen muss. Was auch ganz viele Aspekte von Ahimsa (nicht verletzen) miteinschließt.
Weil ich bereits habe, was ich brauche. Oder zumindest dankbar bin für das, was ich bereits habe.
Asteya ist erkennen, dass ich genug bin. Dass ich keinen Besitztümern, Eigenschaften oder Ideen nacheifern und mir aneignen muss, die mir nicht gehören. Die nicht zu mir gehören. Und die nicht wahrhaftig Ich sind – wo Asteya und Satya (Wahrhaftigkeit) Hand in Hand gehen.